, Margit Siegrist

Apfelbaum (Malus domenstica)

Er ist der Inbegriff eines Obstbaumes, jeder kennt ihn und seine Früchte.
Der Apfel taucht nicht nur in unserer Küche auf, sondern auch in Sagen und Märchen, als Reichsapfel, Zankapfel, Frucht der Erkenntnis in der Bibel und ganz modern auch bei Isaac Newton, dem er der Legende nach auf den Kopf fiel und ihm zu neuen Erkenntnissen der Himmelsmechanik verhalf.
Entstanden ist unser Kulturapfel mit recht grosser Sicherheit in Asien, als Stammform gilt der Asiatische Wildapfel (Malus sieversii) mit mindestens 2, eher 5 anderen Wildformen als Einkreuzung (Quelle Wikipedia) . Unter anderem wurde genetisch unser heimischer Wildapfel (Malus silvestris) nachgewiesen, der bis anhin als Urform galt. Wie viele unseren Obstgehölze und Beeren kommt der Apfel aus der Familie der Rosengewächse (Rosaceae), Gattung der Kernobstgewächse (Pyrinae).
Wie er genau nach Europa gekommen ist, ist nicht bekannt. Vermutlich reiste er - wie so vieles - über die Seidenstrasse zu uns, denn er galt damals schon als lebensverlängernde Heilpflanze.
Verbreitet haben in auf jeden Fall die Römer, die die Kunst der Veredelung beherrscht und in ihren Kolonien bekannt gemacht haben. Denn eine Apfelblüte braucht unbedingt fremden Blütenpollen zur Bestäubung, das schliesst reinerbige Nachkommen eines Baumes aus. Jeder Sämling, der aus einem Apfelkern wächst, entspricht einer neuen Sorte mit neuen Eigenschaften und das nur selten im positiven Sinne. Wenn man also einen Baum findet, dessen Früchte einem gefallen, kann man ihn nur durch Veredelung vermehren: man nimmt, einfach gesagt, einen Zweig des betreffenden Baumes („Edelreis“) und verschmilzt ihn mit der Wurzel („Unterlage“) eines anderen. Sehr viele Sorten sind tatsächlich Zufallsfunde, was in den teils lustigen Namen verewigt ist: z.B. der „Granny Smith“....der Apfel aus dem Garten von Oma Smith, gefunden 1886 in der Nähe von Sydney oder der „Küttiger Dachapfel“, der in der Aargauer Gemeinde Küttigen unter dem breiten Strohdach eines Hauses wuchs, wo er der Legende nach gegen 1770  vom Sohn der Familie gepflanzt wurde.
Wenn man also einen Apfelbaum kauft, erwirbt man immer eine aus mindestens zwei Exemplaren kombinierte Pflanze. Oft auch sogar aus drei, denn wenn die Edelsorte schlecht wächst oder sehr frostempfindlich ist, dann schaltet man noch einen sogenannten „Stammbildner“ dazwischen. Ohne diese Kunst gäbe es die heutige Verbreitung der Apfelsorten nicht!
Während also die alten Kelten und Germanen nur den harten und roh quasi ungeniessbaren heimischen Holzapfel kannten und z.B. als Zugabe zur Herstellung von Met nutzten, brachten die Römer viel wohlschmeckendere Apfelbäume in ihre Provinzen, die sich sicher rasch verbreiteten.
Die älteste Apfelsorte der Schweiz, der „Sternapfel“ oder „Sternapi“ soll tatsächlich aus dieser Zeit stammen ... das hiesse, dass dieser Baum seit gut 2000 Jahren weiterveredelt wird!
Die älteste wirklich dokumentierte Sorte ist allerdings deutlich jünger und wurde „erst“ 1170 in einem Dokument der Zisterzienser erwähnt, der „Borsdorfer Apfel“. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es dann wohl 20 000 Sorten weltweit, wahrscheinlich sogar wesentlich mehr. Allein in Preussen waren 2300 Sorten bekannt und die Schweiz wird ähnlich vielfältige Obstanlagen gehabt haben.
Denn zu jedem Hof gehörten möglichst viele verschiedene Apfelsorten, damit man vom Frühsommer bis zum nächsten Frühjahr mit Äpfeln versorgt war und z.B. der Spätfrost nicht alles vernichtete.
Jede Sorte war wichtig und hatte ihre unverzichtbaren Eigenschaften ... einige wie der „Klarapfel“ trugen besonders früh, andere waren besonders gut lagerfähig wie der „Glockenapfel“. Manche waren zum Frischverzehr, andere zum Dörren, wieder andere nur zum Mosten oder Kochen geeignet.
Heute gibt es vermutlich noch etwa 1300 Apfelsorten in der Schweiz, wobei die eingangs erwähnten Sämlinge natürlich noch dazu gezählt werden müssten.
Wikipedia listet immerhin noch 5800 Sorten weltweit auf, allerdings sind nur 60 Sorten wirtschaftlich bedeutend und etwa 70 Prozent davon machen alleine die drei bekanntesten Sorten („Golden Delicious“, „Jonagold“ und „Red Delicious“) aus, der Rest teilen sich quasi „Gala“, „Granny Smith“, „Elstar“, „Cox Orange“ und „Boskoop“ .
Während man in richtig guten Baumschulen schon mal die Qual der Wahl zwischen immerhin 100 Sorten hat, findet man im Gartencenter oft nicht mehr als 5-10 Sorten. Und sucht man in den Obstregalen der einschlägigen Grossverteilern, bekommt man oft übers Jahr nur 5 oder 6 Apfelsorten angeboten (und diese nach Geschmack etikettiert, nicht nach dem Sortennamen).
So geht viel an Geschmacks- und genetischer Vielfalt verloren ... und beim Kunden das Wissen darum. Schon die Einteilung in Tafel-, Most- oder Kochäpfel ist vielen unbekannt und so werden oft Bäume gefällt, weil die Früchte nicht mehr verwendet werden. Auch das Wissen um Pflückreife und Genussreife (gerade Lageräpfel kann man gleich nach dem Pflücken selten geniessen) ist oft schon verloren und die erste Geschmacksprobe führt zur Enttäuschung.
Das ist sehr schade, denn die Vielfalt stellt auch einen Schutz und eine genetische Reserve für die Zukunft dar. Vor allem in den ökologisch so wichtigen Streuobstwiesen schlummern die Sorten der Zukunft, denn im Ertragsanbau ist der Erhalt alter Sorten nicht wirtschaftlich. Milben, Mehltau, Raupen, Blattläuse, Glasigkeit, Stippe, Schorf (ein rein ästhetisches Problem, übrigens!), Monilia, Obstbaumkrebs, Feuerbrand, Mosaikvirus, Triebsucht und zukünftig vermehrte Wetterextreme brauchen als Lösung die Gene der alten Sorten - und die Artenvielfalt profitiert von der Streuobstwiese an sich. Wer also solche Apfelanlagen wiederbelebt oder neu anlegt, tut etwas Gutes!
Aber nicht jeder hat Platz für einen Hochstammapfelbaum im Garten, der recht beträchtliche Ausmasse erreichen kann. Doch die Veredelung bietet auch da Lösungen, denn man kann auch eine schwachwüchsige Wurzel als Unterlage verwenden, was das Wachstum der Edelsorte begrenzt. So entstehen praktische Niederstamm-Obstbäume für Familiengärten, kleine Spindelbäume (quasi ohne Stamm) oder schlanke Säulenäpfel, die selbst in kleinste Gärten passen oder sogar  als Extremform Zwergobst in einem Topf auf dem Balkon Platz finden.
Generell kann man allerdings sagen: Je schwachwüchsiger die Unterlage, desto mehr Pflege bedarf sie. Denn die schwache Wurzel kann den Baum nicht mehr bei schwierigeren Verhältnissen versorgen (und auch der Geschmack leidet irgendwann). Bedingungen, die ein Hochstamm locker wegsteckt, zwingen einen Zwergbaum in die Knie. Deshalb muss man bei solch kleinen Bäumchen auf eine gute Nährstoff- und Wasserversorgung achten. Dann gibt es allerdings beachtliche Ernten von ihnen.
Ein Niederstamm-Apfelbaum kann schon für eine richtige Obstschwemme sorgen, wie im letzten Jahr bei uns in der Gegend. 2019 fielen fast alle Blüten dem Spätfrost zum Opfer und die Bäume trugen kaum Früchte. So konnten sie im Juli/August überreich Blütenknospen bilden für das nächste Jahr. Und das taten sie...da der Spätfrost 2020 ausblieb, bogen sich die Äste im Spätsommer unter der Last der Früchte, denn unsere Bienen waren fleissig gewesen!
Bei einem Nektar- und Pollenwert der höchsten Stufe 4 ist der Apfelbaum laut G.Pritsch einer der besten Bienenweiden. Eine Befruchtung von 5% der Blüten reicht bei ihm auch schon zum Vollertrag – Steinobst wie Kirschen brauchen 25% dafür.
Und er schenkt uns eine der gesündesten Früchte, was sich im bekannten englischen Spruch „An apple a day keeps the doctor away“ oder in der deutschen Version „Ein Apfel gegessen kurz vor der Nacht, hat manchen Arzt zum Bettler gemacht“ im Volksmund niedergeschlagen hat.
Ganz aktuell schützt uns der Apfel zum Beispiel vor Atemwegsinfektionen....drei Äpfel über den Tag verteilt gegessen senken das Risiko dafür um ganze 30%. (Quelle H.&M. Hintermeier).
Äpfel tragen zur Gesunderhaltung der Zähne durch Polyphenole bei, halten die Verdauung auf Trab, senken bei regelmässigem Verzehr das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma, Lungenfunktionsstörungen, Diabetes mellitus und Krebs. Laut Wikipedia wiesen Mäuse und Ratten mit Zugang zu Äpfeln 50% weniger Tumore auf als die Tiere ohne Äpfel, zudem waren die Tumore kleiner und metastasierten seltener. Wenn das kein Argument für einen Apfelbaum ist ...
Wer möchte, kann sich auch mehr als eine Sorte pro Baum in den Garten holen und die Erntezeit so verlängern bzw.die Obstschwemme mildern. Mein „Granny Smith“ trägt auf einem Ast „Boskoop“ und mein „Klarapfel“ hat gar 10 verschiedene Frühapfelsorten aufveredelt. Das klingt nach viel, aber der Rekord liegt bei weit über 300 Sorten. Denn früher war die Pomologie (die Apfelbaumkunde) in höheren Kreisen genauso gut angesehen wie die Vogelbeobachtung und man hielt sich Apfelbäume mit möglichst vielen Sorten darauf als Anschauungs- und sicher auch als Prestigeobjekt.
Das Veredeln oder Zweien, wie man hier sagt, ist leicht zu erlernen und Edelreiser kann man sich selber schneiden (oft kennt man ja einen alten Baum mit leckeren Früchten, von dem niemand mehr die Sorte weiss...) oder in Baumschulen erwerben – diese helfen auch bei der Wahl der Unterlage und des richtigen Zeitpunktes.
Zu solchen selbst gezogenen Bäumen hat man eine ganz andere Beziehung und die Äpfel machen doppelt Freude.
Auch das Schneiden der Obstbäume ist eine Tätigkeit, die gelernt werden will, aber unbedingt nötig ist. Denn der Obstbaumschnitt hat vier gute Gründe:
1. Will ein Apfelbaum viele kleine Früchte bilden, da er sich über die Samen vermehren möchte. Wir möchten gerne das Gegenteil!
2. Hängen die schönsten Äpfel sonst unerreichbar hoch oben in der Krone (immerhin   8-12 Meter hoch bei ungeschnittenen Hochstammbäumen)!
3. Überaltert der Baum sonst viel schneller und
4. neigen manche Sorten zur „Alternanz“. Das heisst, sie tragen ein Jahr massenhaft und im nächsten Jahr kümmerlich. Auch das kann man über den Schnitt regulieren.
Es lohnt sich also, den Obstbaumschnitt zu lernen, denn es macht Freude und Fitness gibt es gratis dazu.
Wer lieber einen Gärtner ruft, sollte sich vorher besser ein paar Bäume ansehen, die dieser schon ein paar Jahre pflegt – denn nicht jeder Gärtner schneidet regelmässig Obstbäume, sondern vielleicht eher Thujahecken. Diese sind leider häufiger geworden als Obstbäume in den Gärten ... wenn man sich alte Bilder unserer Dörfer ansieht, kann man kaum glauben, wie viele Obstbäume rundherum es früher gab! Es wäre Zeit, wieder etwas mehr auf die Eigenversorgung mit Obst zu setzen und nicht von den Importströmen abhängig zu sein. Während die wichtigsten Obstanbaugebiete in Europa (Normandie, Poebene, die Bodenseeregion) auf CA-Lager setzen (in denen das Reifegas Ethylen entfernt wird), werden im Winter massenhaft Äpfel aus Neuseeland, Chile und Argentinien importiert. Und China exportiert jedes Jahr 900 000 t Äpfel, man mag es nach dem Film „More than honey“ kaum glauben.
Die neueste Entwicklung, die in der Schweiz und der EU zugelassen ist, ist übrigens „Smart Fresh“. Mit Hilfe von 1-Methylcyclopropen werden die Rezeptoren für Ethylen im Apfel blockiert, eine Reifung so über Monate verhindert. Ob man das als Verbraucher möchte, muss man selbst entscheiden … und inzwischen gibt es im Internet wieder Anleitungen für den Bau von Erdkellern und anderen Lagermöglichkeiten, ein zarter Trend zurück zum eigenen Apfel scheint zu keimen! Grund dafür ist sicher auch die vom Verbraucherschutz recht häufig festgestellte Mehrfachbelastung mit Pestiziden. Wobei ein Grossteil dieser Mittel nicht etwa zu Sicherung der Ernte gebraucht wird. Sondern nur zur optischen Verschönerung des Obstes. Denn der Obstproduzent bekommt einen riesigen Abzug für einen minimalen Makel des Apfels – teils kaum erkennbar für Laien. Trotzdem ist dieser - ansonsten hochwertige - Apfel keine A-Ware mehr und muss zum Schleuderpreis verkauft werden. Davon kann kein Landwirt leben! Das Verrückte daran ist, dass die Konsumenten Äpfel mit kleinen Fehlern gerne akzeptieren würden, wenn dafür weniger gespritzt würde. Aber entweder kommt das bei den Einkäufern des Einzelhandels nicht an oder die Konsumenten lassen doch solche Äpfel liegen, so dass sich der Einkäufer danach richten muss.
Da hilft nur, sein Obst regional bei dem Bauern zu kaufen, der so wirtschaftet, wie man es gerne möchte. Und so lernt man vielleicht auch die eine oder andere wunderbare Apfelsorte kennen, die man nie vorher kosten durfte! Und weiss dann auch gleich, welche Sorte man eventuell als Baum im Garten haben möchte ...
Aufgrund der riesigen Sortenvielfalt gibt es diesmal keine Sortenempfehlungen von mir, aber dafür Buchempfehlungen:
- „Streuobstwiesen – Lebensraum für Tiere" Helmut Hintermeier, Gartenbauverlag München
- „Obstgartenhandbuch für Selbstversorger" Kurt Kuhn, OLV Verlag
- „Obstbaumschnitt" Heiner Schmid, Ulmer Verlag
Und für Spezialisten:
- „Rosenapfel und Goldparmäne“ B. Bartha-Pichler u.a., AT Verlag