, Margit Siegrist

Weide

Es gibt wohl keine andere Blütenpflanze, die für uns Imker mehr den Frühling einläutet als die Weide! Sie spendet den Bienenvölkern den lang ersehnten Pollen und Nektar im Überfluss und man erkennt die Bäume oder Sträucher bei gutem Flugwetter schon von weitem am deutlichen Summen.
Kurz vor und während der Blüte sind die männlichen Exemplare leicht zu erkennen, auch „botanische Ignoranten“ wissen die samtweichen Kätzchen zuzuordnen, die es auch als Zimmerschmuck  gebündelt zu kaufen gibt und in manchen Gegenden am Palmsonntag in der Kirche geweiht werden. Bei den weiblichen Exemplaren wird das schon schwieriger, da die grünen, etwas zottig wirkenden Blüten so gar nicht nach Weide aussehen. Denn alle Weiden sind zweihäusig, das heisst getrenntgeschlechtlich blühend. Beide Geschlechter spenden Nektar, aber nur die männlichen Pollen.
Dafür verbreiten die weiblichen Weiden Unmengen an federleichten, an langen Haaren hängenden Samen, vermutlich die kleinsten und leichtesten unter allen Bäumen. Wenn man im Windschatten einer fruchtenden Weide steht, dann hat man den Eindruck in einem warmen Schneetreiben gefangen zu sein.
Das hat seinen guten Grund: alle Weiden sind Pioniergehölze, das heisst, sie sind auf die Besiedlung von offenem Boden (zum Beispiel nach einem Hochwasser) spezialisiert. Offener Boden aber ist schwer zu finden, deshalb der leichte Samen, den der kleinste Windhauch weit tragen kann. Der grosse Nachteil davon ist ebenso leicht zu erkennen ... der Same kann keine schweren Reserven mitnehmen und ist dadurch chancenlos bei Konkurrenz.
Obwohl der Same extrem schnell keimen und wachsen kann (24 Stunden Keimzeit, im ersten Jahr wächst die Pflanze bis zu 1 Meter laut Wikipedia), vermehrt man sie normalerweise durch Stecklinge. Das hat auch den Vorteil, dass man die Mutterpflanze kennt und aussuchen kann. Denn bei 30 einheimischen Weiden und ungezählten Kreuzungen weiss man bei Samen nicht wirklich, was da wachsen wird. Und die meisten Leute möchten auch gerne männliche Weiden wegen der Blütenkätzchen.
Da sich alle Weiden sehr gut mit Stecklingen vermehren lassen, kann man sich so die schönsten Sträucher aussuchen und unbegrenzt nachziehen. Mit Ausnahme der Salweide, bei der braucht man ein bisschen Geschick und Glück, damit der Steckling gelingt.
Da man mit dem starken Wurzelwerk der Weiden gefährdete Bachufer oder Böschungen befestigen kann, nutzen die Gemeinden oft gleich das anfallende Schnittgut, um neue Bereiche zu bepflanzen. Leider sind dann alle neuen Sträucher natürlich auch vom Blütezeitpunkt gleich, was für Insekten sehr ungünstig ist. Denn mit der geeigneten Mischung  aus den verschiedenen Weiden kann man ein sehr langes Trachtfliessband erzeugen, das von März (dieses Jahr sogar schon von Mitte Februar an!) bis Juni durchblüht.
Die frühesten Weiden sind Salweide (Salix caprea) und Reifweide (S.daphnoides), dann kommt die Hanfweide (S.viminalis) und Küblerweide (S.smithiana). Im April folgen die Mandelweide (S.triandra), die Dotterweide/Gelbweide (S.vitellina) und die Drachenweide (S.secca), die zwar nicht einheimisch ist, aber in Gärten oft als Zierde gepflanzt wird.
Danach blüht die Silberweide (S.alba) und die Purpurweide (S. purpurea). Am Schluss und je nach Wetter Ende Mai oder im Juni schliessen die Schwarzweide (S.nigricans) und die Lorbeerweide (S.pentandra) den Reigen ab. Eine Ausnahme bildet noch die immer blühende Weide (S.triandra semperflorens oder S.continua), die zwischen  Juni und September nochmals blüht, was sie uns Bienenhaltern natürlich sehr sympathisch macht.
Je nach Standort und Verwendung der Weiden kann man andere Arten bevorzugen, denn manche wachsen nur auf feuchten Böden, andere kommen auch mit Trockenheit gut zurecht. Auch von der Grösse wird alles geboten, von 20m Höhe der Silberweide bis zur Kriechweide (S.repens) mit gerade mal 3cm! Eine gute Empfehlung für kleine Gärten oder leere Stein(wüsten)gärten ist zum Beispiel die Schweizer Weide (S.helvetica): gerade mal 1,5m erreicht sie und ist eine echte Einheimische, da sie aus den Schweizer Zentralalpen stammt.
Die meisten Weiden vertragen übrigens einen jährlichen Schnitt sehr gut, so kann man sie auf der gewünschten Grösse halten und sie auch zur Gewinnung von Schnittgut zur Korbflechterei verwenden, als so genannte Kopfweiden. Ein Merksatz lautet hier: „je schmaler die Blätter, desto besser zum Flechten geeignet“. Früher war die Korbflechterei ein wichtiger Erwerbszweig und Weidenbehältnisse im Alltag überall zu finden. Aber auch Seile und Fischreusen wurden schon für die Mittelsteinzeit nachgewiesen, vermutlich aber viel früher benutzt.
Was die Nützlichkeit betrifft, stellen Weiden quasi alle Gewächse in den Schatten. Nicht nur Bienen, Bachuferbefestiger und Korbflechter haben ihre Freude an ihnen, sie schenken uns auch den Grundstoff eines Arzneimittels, das wohl jeder kennt: Aspirin.
Der Ursprung dieses Medikaments kommt aus der Weidenrinde und nennt sich Salicin, das im Körper zu Salicylsäure umgewandelt wird. Anwendungen für Weidenrinde findet man in vielen alten und neuen Arzneibüchern.
Nur die Waldbauern entfernen oft die Weiden, da das Holz nicht viel Wert hat, denn die Weide ist ein kurzlebiger Baum, der keine 80 Jahre erreicht. Allerdings machen das schnelle Wachstum und die Fähigkeit, aus dem abgesägten Wurzelstock neu auszuschlagen, die Weiden zu einer interessanten „Energiepflanze“. Vielleicht eine neue Verwendung für eine alte Begleiterin der Menschen ...